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20.04.2011

Interview: Stellenwert der Kommunikation im Change Management

Geführt am 18.04.2011 von Thorsten Eisengräber im Rahmen seiner Masterarbeit an der Hochschule Bochum mit dem Titel: „Problematik und Analyse der Kommunikation im Change Management, sowie ausgewählter interner und externer Unterstützung“ mit Nicole Schlegel.

Eisengräber: Frau Schlegel, Veränderungsprozesse sind in der Regel unumgänglich. Mitarbeiter sträuben sich allerdings oftmals dagegen vorhandene Automatismen abzulegen und Veränderungen mitzutragen. Wie kann man Ihrer Ansicht nach diese (natürliche) Abwehrhaltung der Mitarbeiter umgehen bzw. abbauen?

Schlegel: Diese Abwehrhaltungen können nicht umgangen werden, es sind erlernte Handlungsmuster, die bislang, aus Sicht der Mitarbeiter, zum Erfolg führten. Der Schlüssel um diese Abwehrhaltungen abzubauen, ist die Analyse der Gründe, also Motive, für diese Abwehrhaltung. Diese wiederum liegen in ganz unterschiedlichen Bereichen. Die Klassiker sind 4 Kategorien: Wissensbarrieren, Verhaltensbarrieren, Methodenbarrieren und Kulturbarrieren. Im Umkehrschluss heißt dies: Kennen, Wissen, Verstehen, Akzeptieren, Befähigung und Überzeugung bzw. Identifikation. Bis zum letzten Schritt können 1- 3 Jahre vergehen. Veränderungen funktionieren nicht wie das Aufspielen einer neuen Software. Dies wird häufig vergessen…

Eisengräber: Ist für ein erfolgreiches Change Management Projekt zwangsläufig ein externer Berater notwendig oder gibt es Ihrer Ansicht nach auch andere, möglicherweise innerbetriebliche, Möglichkeiten Veränderungsprozesse zu begleiten und zu unterstützen?

Schlegel: Ja und nein; der Umfang, die Bedeutung, die Möglichkeiten und die Komplexität der Veränderungen können dafür oder dagegen sprechen. Durch externe Berater wird zunächst einmal, ähnlich wie bei einem Bauteil, eine Leistung eingekauft, die man selbst nicht „fertigen“ oder „herstellen“ kann. Zum Teil, weil man es nicht weiß, nicht kann, keine Erfahrungswerte hat oder weil man es nicht will, da eigene Mitarbeiter oftmals eine gewisse Voreingenommenheit oder Betriebsblindheit mitbringen. 

Wichtig und wesentlich ist hierbei immer folgendes: Die Hauptverantwortung liegt beim Unternehmen und den Entscheidern. Je nach Größenordnung und Aufbaustruktur des Unternehmens können auch interne Change Agents agieren.

Eisengräber: Kommunikation ist der Literatur zufolge (Doppler, Kotter…) eine Schlüsselaufgabe im Rahmen von Veränderungsprozessen. Wenn man jedoch Kommunikation aus finanzwirtschaftlicher Sicht betrachtet, wird diese eher als zeitraubend, sowie als Kostenfaktor gesehen. Welche Argumente denken Sie, gibt es um diese finanzwirtschaftliche Sicht zu ändern?

Schlegel: Kosten- Nutzen- Analysen müssen durchgeführt werden, denn Kommunikation als Leistungsmerkmale lassen sich rechnen. Z.B. durch Befragungen von Kunden, Mitarbeitern und Stakeholdern. Hierdurch lässt sich nicht nur mittel- und langfristig die Motivation der Belegschaft steigern, sondern durch diese Analysen werden auch immaterielle Kosten erfasst, die sonst möglicherweise verborgen geblieben wären. Und gerade die Finanzwirtschaft erhebt ihre Ergebnisse auf Basis von Informationen, die zum rechten Zeitpunkt geliefert werden. Weshalb reagiert die Finanzwelt so sehr auf Nachrichten? Diese verändern Aktienkurse maßgeblich.

Eisengräber: Eine offene Kommunikation wird in der Regel als sehr sinnvoll angesehen. Jedoch findet man diese in ausgeprägten Machthierarchien, wie sie oftmals in Unternehmen herrschen, nicht häufig vor. Welche Gründe hat dies Ihrer Erfahrung nach und wie kann man eine Entwicklung hin zu einer offenen Kommunikation fördern?

Schlegel: Die Gründe sind vor allem: Machtverständnis, Führungsverständnis, Kommunikation als Mittel der Abteilungs- und Bereichspolitik, Fähigkeit zur Menschenführung in Veränderungen, in denen ich selbst unsicher bin. Auch eine Offenheit muss in der Kommunikation einer angemessenen Form entsprechen. Beispielsweise kann ich nicht auf dem Flur der Büroetage meinen Kollegen der anderen Abteilung in eine Grundsatzdiskussion verwickeln oder den Chef bei einer Sitzung mit Kunden offen auf Firmeninterna ansprechen. Offenheit wird immer getragen von einer gemeinsamen Wertvorstellung wie wir Offenheit aus unseren Aufgaben, Rollen und Beziehungen definieren. Je größer dieses gemeinsame Wissen auch Akzeptanz findet, desto gelungener ist die praktizierte offene Kommunikation.

Eisengräber: Die heutige Gesellschaft, sowie moderne Unternehmen bedienen sich immer häufiger moderner Computertechnologie um viele Aufgaben und Tätigkeiten schneller und effektiver zu erledigen. In wie weit ist es, Ihrer Ansicht nach möglich und sinnvoll Veränderungsprozesse mit Computertechnologie zur Unterstützung der Kommunikation anzuwenden? (Bsp.: elektronische Plattformen und Intranet – Portale)

Schlegel: Diese Technologien sind in einem gewissen Maß möglich und sinnvoll. Maßgebliche Entscheidungsfaktoren hierbei sind vor allem die Strategische Konzeptionsfrage und die Generationenfrage, um damit die Bereitschaft der Belegschaft neue Technologien anzunehmen und zu nutzen.

Eisengräber: Kommunikation wird in der Regel immer schwerer, je mehr Menschen daran beteiligt und je weiter sie verstreut sind. Wie ist Ihrer Meinung nach eine effiziente Kommunikation mit vielen Personen an unterschiedlichen Orten am besten möglich?

Schlegel: Es müssen zentrale, gesteuerte Informationen über elektronische Kanäle zugänglich sein und dezentrale gezielte Informationspolitik situativ, personenbezogen, empfängerbezogen & kontextbezogen gestaltet werden. 

Information hat an sich keinen Wert, erst wenn die Informationen einen Bezugspunkt hat, dann erhebt sie sich zu einem Wert, von daher muss sich auch die effiziente Kommunikation daran orientieren.

Eisengräber: Ein Grundsatz des Change Managements lautet „Betroffene zu Beteiligten machen“. Ist dies wirklich grundsätzlich so, oder gibt es nicht auch Veränderungen die ohne eine Einbeziehung der Mitarbeiter durchgesetzt werden müssen? (bspw. Standortwechsel) Wenn es solche Veränderungen, ohne die Einbeziehung der Mitarbeiter gibt, wie kann man Ihrer Erfahrung nach die Motivation der Mitarbeiter aufrechterhalten?

Schlegel: Hierbei gilt der Grundsatz: Situationsbedingungen definieren den Zeitpunkt, die Zielstellung, die Gründe und den Grad der Beteiligung. Häufig korrespondieren diese auch mit der Firmenkultur und der Führungsphilosophie. 

So sollte man Mitarbeiter einbeziehen wo man kann, jedoch gibt es Entscheidungen wie einen Standortwechsel, die einen sehr geringen Beteiligungsgrad der Mitarbeiter haben. Diese müssen getroffen und zeitnah mitgeteilt werden. Mögliche Motivationsverluste der Mitarbeiter sind bei solchen Entscheidungen unumgänglich, deshalb sollte die Umsetzung der Entscheidung nach Möglichkeit nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen.

Eisengräber: Unternehmen stehen sehr oft im Fokus der Öffentlichkeit, besonders wenn Veränderungen anstehen. Wie sollte ein Unternehmen, Ihrer Erfahrung nach, extern das Change Management Projekt kommunizieren?

Schlegel: Eine externe Kommunikation muss sich immer am Markenanspruch und Markenversprechen des Unternehmens orientieren, da gerade im Change-Prozess das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit re-definiert wird. Daher muss sich ein Gesamtkonzept mit strategischen Kommunikationszielen, in definierten Abläufen, ausgewählten Formen usw. an den Zielgruppen und Stakeholdern des Unternehmens orientieren. Dabei wird die Markenprägung durch Mitarbeiterverhalten oft unterschätzt. Wir sprechen dabei von dem Personalmarkenmanagement. Voraussetzung dabei ist, dass die Unternehmen wissen, WAS zu sagen gilt, denn sonst kann das WIE keine Erfolgskriterien zugrunde legen. Wenn dies gewährleistet ist, können sich Aussagen an Kommunikationslinien orientieren und geben, vor allem Mitarbeitern, Handlungssicherheit hinsichtlich der Aussagefähigkeit gegenüber Kunden, Mitbewerber etc.

Eisengräber: Konfliktfähigkeit und der Umgang mit Widerstand sind grundlegender Bestandteil der Kommunikation. Es ist jedoch nicht immer möglich alle Mitarbeiter von einem Veränderungsvorhaben zu überzeugen. Wie muss man, Ihrer Ansicht nach, vorgehen, wenn man es mit hartnäckig uneinsichtigen Mitarbeitern zu tun hat?

Schlegel: Man darf diese Mitarbeiter nicht einfach ignorieren. Man muss sie mit der Veränderung immer wieder konfrontieren, Ziele erklären, Entscheidungen treffen und viel Reflektion zulassen, weil wir in hartnäckigen Ablehnungen auch immer etwas entdecken können, was uns in Veränderungen „Neu“ ist. Sollten alle Mittel erfolglos bleiben und die Ablehnung des Mitarbeiters ist nicht nachvollziehbar, ist eine Trennung vom Mitarbeiter unumgänglich.

Eisengräber: „Nichts ist beständiger als Wandel“ sagte Heraklit bereits 500 v. Chr., dennoch liegt es in der Natur des Menschen sich gegen Veränderungen zu sträuben. Gibt es ihrer Ansicht nach, abgesehen von der Kommunikation, Möglichkeiten, Veränderungen und die Akzeptanz dieser Veränderungen zu fördern? (Bsp.: Job – Rotation & innerbetriebliches Vorschlagswesen)

Schlegel: Veränderungen müssen immer zum Ziel haben eine Verbesserung zu erzeugen. Diese liegen nicht nur im materiellen, sondern auch in immateriellen Aspekten sowie in der

Lern- und Reflektionsfähigkeit. Wir trinken immer noch Kaffee, nur heute TO GO, mit Hilfe von Kaffepads und manche brühen den Kaffee wieder klassisch auf… Wahrscheinlich werden wir in den nächsten Jahren noch immer Kaffee konsumieren, nur die Art und Weise wie wir es tun, diese wird sich verändern.
Daher liegen viele Veränderungen eigentlich nicht im WAS, sondern im WIE!
Unternehmen müssen präziser sein in dem Fokus auf den genauen Gegenstand der Veränderungen und sich zugleich die Offenheit bewahren, Entdeckungen und Erkenntnisse in Veränderungen wahrzunehmen. Ziel ist hier kontinuierliche Veränderungsprozesse zu implementieren um das Unternehmen zu einer lernenden Organisation zu formen.

Eisengräber: Edgar Schein spricht in einem Interview im Harvard Businessmanager (5/2002) davon, dass ein gewisses Maß von Angst in der Anfangsphase des Veränderungsprozesses unvermeidbar sei, um die Notwendigkeit eines Wandels erkennbar zu machen. Was halten Sie von dieser Aussage? Wäre Angst, beispielsweise vor einem Verlust des Arbeitsplatzes nicht eher kontraproduktiv?

Schlegel: Konfrontation mit Realitäten lösen zunächst Verunsicherungen aus. Diese können auch in Form von Ängsten auftreten. Ängste machen uns allerdings wachsam und gespannt, um nach nötigen Hilfen und Lösungen zu schauen. Ich halte allerdings nichts davon, dauerhafte Angst zu erzeugen, da dadurch Produktivität verloren geht und es den Führungsgrundsätzen widerspricht.